Predigt von Pfarrerin Dr. Ilsabe Alpermann zur Amtseinführung als Äbtissin im Kloster Stift
zum Heiligengrabe am 18. September 2022

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Predigttext: 1. Mose 28, 10-22


Liebe Festgemeinde!
Jakob steht an einem Wendepunkt. Auf der Flucht vor dem Zorn seines Bruders Esau lässt er
alles hinter sich. Er hatte Esau zweimal betrogen, geprellt erst um das Recht der ersten
Geburt – Esau schenkte es her für ein Linsengericht. Und als der Vater Isaak alt und schwach
wurde, verhalf ihm seine Mutter Rebekka zum Erstgeburtssegen. Nun also ist Jakob auf der
Flucht. Allein unterwegs, ohne den Schutz seiner Familie ist er auf sich gestellt. Bei den
Verwandten seiner Mutter will er ein neues Leben beginnen. Doch zuvor liegt ein langer Weg
vor ihm.
Als er sein Nachtlager hinter einem Stein sucht, deutet nichts darauf hin, dass sich in dieser
Nacht an diesem Ort etwas Besonderes ereignen würde. Erst der Traum offenbart ihm das
Besondere des Ortes. Eine Treppe führt direkt von der Erde in den Himmel. Treppen stellen
eine Verbindung zwischen oben und unten, unten und oben her. Zugleich markieren sie eine
Grenze. Und nicht Jakob geht die Treppe hinauf, sondern die Engel Gottes bewegen sich
hier, treppab – treppauf.
Wie mag Markgraf Otto IV. darauf gekommen sein, ausgerechnet hier an diesem Ort 1287
ein Kloster zu gründen? Wir wissen es nicht. Vermutlich waren es eher strategische
Überlegungen. In der Heiliggrabkapelle ist eine idealisierte Darstellung der Grundsteinlegung
zu sehen. Aufgemauerte Steine, in die eine Grundrißzeichnung des Klosters versenkt wird. So
wächst hier im märkischen Sand ein besonderer Ort heran. Bewohnt und belebt durch
Zisterzienserinnen, die uns diese wunderbaren durchbeteten Kirchenräume hinterlassen
haben.
Jakob hat seine Schuldgeschichte, die er nicht abschütteln kann, die ihn begleitet und prägt.
Solange sein Bruder Esau ihm nach dem Leben trachtet, bleibt die Heimat für ihn versperrt.
Er kann nur hoffen, dass Esau eines Tages zur Versöhnung bereit ist.
Auch Heiligengrabe hat eine Schuldgeschichte – die über 200 Jahre nach der Gründung des
Klosters aufgekommene judenverachtende Gründungslegende. Im Museum ausgestellte
Bildtafeln zeigen sie anschaulich. Die damalige Äbtissin konnte nicht ahnen, welch
grausamer Schrecken aus diesem Geist im 20. Jahrhundert erwachsen würde. Sie hat sich
diesem Geist aber auch nicht entzogen. Es ist gut und wir sind dankbar dafür, dass dieser Teil
der Geschichte des Kloster Stift in jüngster Zeit aufgearbeitet wurde. Wir hoffen immer
wieder neu auf Versöhnung und wollen auch in Zukunft unseren Teil dazu beitragen.
Jakob ist unterwegs. Mitten in einer einschneidenden Wende seines Lebens findet er sich an
einem heiligen Ort wieder. Er hat diesen Ort nicht gesucht. Das Traumbild hat ihm diesen Ort
gezeigt. Diese Erfahrung gibt es auch heute. Menschen finden sich, ohne dass sie es wissen
oder wollen, an Orten wieder, die sie in Ehrfurcht erschauern lassen. Manchmal beobachte
ich das in der Kapelle. Menschen treten ein, bleiben staunend stehen und schauen sich
vorsichtig um. Die Atmosphäre wirkt, hier wie in der gesamten Klosteranlage. Wir freuen uns
über jede und jeden, der hierherkommt, verweilt, sich angesprochen fühlt und unsere
Räume besucht.
Sosehr wir davon und damit leben, ein bedeutender kultureller Ort Brandenburgs zu sein, so
wenig ist das die Bestimmung des Kloster Stift. Der Kern unserer Arbeit hier ist es, auf
unterschiedliche Weise Menschen in Kontakt mit Gott zu bringen. Klöster sind Orte der
Gottesbegegnung, der Suche nach Gott und des stellvertretenden Betens und Glaubens. Das
ist auch hier in Heiligengrabe bei aller wechselvollen Geschichte durch die Zeiten immer so
gewesen. Das ist es bis heute. Das Bild der Treppe, die Himmel und Erde verbindet, passt
hierher. Sie drückt die unüberbrückbare Distanz ebenso aus, wie die mögliche Erfahrung der
Gottesnähe.
So wie Jakob auf seinem Weg Gott begegnet ist, so begegnen heute Menschen Gott, wenn
ihr Weg sie hierherführt. Wer sich dafür öffnet, erfährt hier die Gottesverheißung, die Jakob
vernommen hat: Gott spricht: Siehe, ich bin mit dir und will dich behüten, wo du hinziehst.
Die allermeisten Menschen kommen und bleiben nur für Stunden oder Tage. Dann gehen sie
wieder ihrer Wege. Aber auch denen, die nicht unterwegs sind, gilt die Gottesverheißung.
Weil sie hier arbeiten als Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter oder weil sie als Stiftsfrauen sich
diesem Ort eng verbunden fühlen. Ich höre diese Worte auch als Verheißung für mich
persönlich. In meinen Dienst als Äbtissin in der geistlichen und wirtschaftlichen
Verantwortung für das Ganze des Kloster Stift bin ich angewiesen auf diese Zusage Gottes:
siehe, ich bin mit dir und will dich behüten. Dieses Versprechen gilt auch für Sie, liebe Erika
Schweizer: Gott wird dich behüten, wo du hinziehst.
Bethel – Haus Gottes nannte Jakob den Segensort, an dem Gott ihm im Traum erschienen
ist. Vorher hieß die Stätte Lus.
Das Dorf Heiligengrabe, durch das viele von Ihnen heute gefahren sind, ist eines von vielen
historischen Stiftsdörfern, die in weitem Umkreis das Kloster umgeben. Bis 1928 hieß es
Techow. Das Kloster Stift zum Heiligengrabe wurde zum Namensgeber für das nahe gelegene
Dorf. Unser Kloster ist ein Ort mit großer Ausstrahlung. Gott schenke diesem Ort und allen,
die hier aus und eingehen, dass sie von Gottes Segen berührt werden.

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